Nichtlineare Systeme
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Im Artikel über Lineare Systeme haben wir Systeme mit konstanten Koeffizienten behandelt. Lösungen von linearen Systemen kann man durch Superposition der Teillösungen zusammensetzen. Man kann lineare Systeme durch geeignete Transformationen entkoppeln, dies ist für nichtlineare Systeme nicht mehr möglich. Trotzdem sind die für lineare Systeme entwickelten Konzepte grundlegend für das Verständnis nichtlinearer Systeme, vorallem um die Stabilität und das Qualitative verhalten nichtlinearer Systeme zu verstehen. Im Folgenden behandeln wir das nichtlineare System
\begin{align}
x'&=f(x,y,t)\\
y'&=g(x,y,t) \\ \tag{1}
\end{align}
d.h. $f$ und $g$ sind nichtlineare Gleichungen wobei $x$ und $y$ abhängige Variablen und $t$ die unabhängige Variable ist. Wir können das System auch in Vektorschreibweise angeben
\begin{align}
\dot{\mathbf{x}}=\mathbf{f}(\mathbf{x},t)
\end{align}
mit $\mathbf{x}=(x,y)$ und $\mathbf{f}(\mathbf{x},t)=(f_1(\mathbf{x},t),f_2(\mathbf{x},t))$
Linearisieren von nichtlinearen Systemen
Wie im eindimensionalen Fall, den wir im Artikel Qualitative Analyse von Differentialgleichungen behandelt haben, können wir auch Systeme linearisieren. Dazu betrachten wir das System (1) und nehmen an es hat den Fixpunkt $(x^*,y^*)$ mit
\begin{align}
f(x^*,y^*)=0 \\
g(x^*,y^*)=0
\end{align}
Wir machen eine Koordinatentransformation $x=x^*+u$ bzw. $y=y^*+v$, damit ergibt sich für kleine Auslenkungen vom Fixpunkt
\begin{align}
u=x-x^* \\
v=y-y^* \\
\end{align}
Um den Fixpunkt $(x^*,y^*)$ können wir das System in eine Taylorreihe entwickeln.
\begin{align}
u'&=x'=f(x^*,y^*)+\frac{\partial f}{\partial x} u + \frac{\partial f}{\partial y} v + O(u^2,v^2,uv)\\
v'&=y'=g(x^*,y^*)+\frac{\partial g}{\partial x} u + \frac{\partial g}{\partial y} v + O(u^2,v^2,uv)\\ \tag{2}
\end{align}
Da $f(x^*,y^*)$ und $g(x^*,y^*)$ laut Voraussetzung beim Fixpunkt null sind können wir das System bei Vernachlässigung von Termen höherer Ordnung in Matrixschreibweise angeben als
\begin{align}
\begin{pmatrix} \dot u \\ \dot v \end{pmatrix} =\begin{pmatrix} \frac{\partial f}{\partial x} & \frac{\partial f}{\partial y} \\ \frac{\partial g}{\partial x} & \frac{\partial g}{\partial y}\\ \end{pmatrix}\begin{pmatrix} u \\ v \end{pmatrix}
\end{align}
Die Matrix
\begin{align}
\mathbf{A} =\begin{pmatrix} \frac{\partial f}{\partial x} & \frac{\partial f}{\partial y} \\ \frac{\partial g}{\partial x} & \frac{\partial g}{\partial y}\\ \end{pmatrix}_{|x^*,y^*}
\end{align}
ist die wohl bekannte Jacobi Matrix ausgewertet am Fixpunkt $(x^*,y^*)$. Das System kann also in der Umgebung des Fixpuntes durch ein lineares System näherungsweise beschrieben werden, dies ist auch die zentrale Aussage des Harman-Grobman-Theorems.
Lotka-Volterra Competitive Exclusion Model
Wir betrachten eine Population von Schafen und eine von Hasen, die beide um die selbe Nahrung (Gras) konkurieren, dabei seien die Ressourcen begrenzt. Wir interessieren uns für die zeitliche Entwicklung der Pupulationen
\begin{align}
x(t) &\dots \text{Hasen Population} \\
y(t) &\dots \text{Schaf Population}
\end{align}
Das Modell wird beschrieben durch das System
\begin{align}
x'&=x(3-x-2y) \\
y'&=y(2-x-y)
\end{align}
wobei die Populationszahlen immer positiv sind $x,y \geq 0$. Wir finden sofot den Fixpunkt $(x_1^*,y_1^*)=(0,0)$ und die anderen durch gleichzeitiges Lösen von
\begin{align}
I:&x'=x(3-x-2y)=0 \\
II:&y'=y(2-x-y)=0
\end{align}
lösen der zweiten Gleichung $II \rightarrow y=2-x$ (division durch $y$) und einsetzen in $I$ ergibt $(x_2^*,y_2^*)=(0,2)$ $(x_3^*,y_3^*)=(1,1)$, dabei dürfen wir die Lösungen nicht vergessen die wir durch $y=0$ erhalten (division durch $y$ ist dann nicht mehr erlaubt, diese Lösungen fehlen daher noch). Die erste Gleichung liefert $(x_4^*,y_1^4)=(3,0)$.
Nun berechnen wir die Jacobi-Matrix an den Fixpunkten
\begin{align}
A=\begin{pmatrix} \frac{\partial \dot x}{\partial x} & \frac{\partial \dot x}{\partial y} \\ \frac{\partial \dot y}{\partial x} & \frac{\partial \dot y}{\partial y}\\ \end{pmatrix}=\begin{pmatrix} 3-2x-2y & -2x \\ -y & 2-x-2y\\ \end{pmatrix}
\end{align}
\begin{align}
(0,0):A=\begin{pmatrix} 3 & 0 \\ 0 & 2\\ \end{pmatrix}
\end{align}
mit Eigenvektoren $\mathbf{v}_1=(1,0)$ und $\mathbf{v}_2=(0,1)$ und Eigenwerten $\lambda_1=3$ und $\lambda_2=2$, instabiler Fixpunkt.
\begin{align}
(0,2):A=\begin{pmatrix} -1 & -2 \\ 0 & -2\\ \end{pmatrix}
\end{align}
mit Eigenvektoren $\mathbf{v}_1=(1,-2)$ und $\mathbf{v}_2=(0,1)$ und Eigenwerten $\lambda_1=-1$ und $\lambda_2=-2$, stabiler Fixpunkt.
\begin{align}
(3,0):A=\begin{pmatrix} -3 & -6 \\ 0 & -1\\ \end{pmatrix}
\end{align}
mit Eigenvektoren $\mathbf{v}_1=(0,1)$ und $\mathbf{v}_2=(3,-1)$ und Eigenwerten $\lambda_1=-3$ und $\lambda_2=-1$, stabiler Fixpunkt.
\begin{align}
(3,0):A=\begin{pmatrix} -3 & -6 \\ 0 & -1\\ \end{pmatrix}
\end{align}
mit Eigenwerten $\lambda=-1 \pm \sqrt{2}$, Sattelpunkt.
Lade das kostenlose M-File "pplaneX.m" herunter um Phasendiagramme in Mathlab zu zeichnen. Auch ohne Computer können wir das Phasenportrait zeichnen indem wir die zu den Fixpunkten gehörenden Eigenvektoren betrachten. Dabei gilt, dass Trajektorien am Fixpunkt immer parallel zum Eigenvektor mit kleinerem ($| \lambda |$), also der langsamen Eigenrichtung ist. Beispielsweise ist am Fixpunkt $(0,0)$ der die Trajektorie parallel zum Eigenvektor $(0,1)$, weil $|2|<|3|$. Stellt man diese Überlegung für alle Fixpunkte an, so erhält man folgendes Phasendiagramm.
Es gibt eine spezielle Trajektorie die ausgehende vom Ursprung den Fixpunkt $(1,1)$ ereicht, diese Trajektorie ist Teil der stabilen Mannigfaltigkeit des Sattelpunktes. Eine geringe Pertubation, weg von dieser stabilen Mannigfaltigkeit führt zum Aussterben, entwerder der Schafe oder der Hasen, abhängig von der Richtung der Pertubation. Diese Tatsache wird in der Biologie als "das Prinzip des kompetitiven Ausschlusses" bezeichnet.
Attraktionsbecken
Eine Attraktionsbecken (basin of attraction) eines Systems $\dot{\mathbf{x}}=\mathbf{f}(\mathbf{x})$ mit dem Fixpunkt $\mathbf{x}^*$, ist eine Teilmenge $\Omega$ des Phasenraums, für die gilt
\begin{align} \mathbf{x}(t) \rightarrow \mathbf{x}^* \text{ für } t \rightarrow \infty \Leftrightarrow \mathbf{x}(t) \in \Omega \end{align}
Alle Punkte im Attraktionsbecken erreichen also nach undendlicher Zeit den selben Fixpunkt. Attraktionsbecken erlauben damit, das qualitative Verhalten von Lösungen zu charakterisieren, der Begriff wird daher in der Literatur (vorallem der englische Begriff 'basin of attraction') oft benutzt.
Beispiel
Betrachte das die letzte Abbildung im Lotka-Volterra Competitive Exclusion Model. Die eingefärbte Region ist ein Attraktionsbecken für den Fixpunkt $(x,y)=(3,0)$.
Weiterführende Literatur: Steven H. Strogatz - Nonlinear Dynamics an Chaos